Morgenpost der Chefredaktion
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MICHAEL JUNGWIRTH
Mitglied der Chefredaktion
Guten Morgen!

Vor bald vier Wochen - es war der 19. April - vernahm ich im Zuge eines Treffens mit einem hochrangigen Gesprächspartner in einem Kaffeehaus in Wien, dass es bei den Grünen wegen der Spitzenkandidatin Lena Schilling ordentlich brodle. Auslöser sei eine „Verleumdungsgeschichte“, mehr wollte mein Gegenüber nicht enthüllen. 

 

Noch am selben Tag stellte ich Recherchen an, um herauszufinden, worum es geht. Da die Betroffenen die Details in der Zwischenzeit öffentlich gemacht haben, kann ich es hier auswalzen. Schilling soll ihrem einstigen Freund gegenüber den Verdacht geäußert haben, dass ihre damalige Freundin von ihrem Ehemann geschlagen werde. Bald darauf ging Schillings Beziehung in die Brüche. Schillings Ex-Freund soll - aus welchen Gründen auch immer - eines Tages dem Ehemann brühwarm von Schillings Mutmaßung erzählt haben, wonach dieser seine Frau prügle.

 

Bei dem Paar handelt es sich um Sebastian und Veronika Bohrn Mena. Politik-Junkies kennen ihn aus dem Fernsehen. Der gebürtige Chilene ist ein politischer Aktivist im besten Sinne, initiierte das Tierschutzvolksbegehren, wo auch Schilling aktiv war, und matcht sich einmal wöchentlich mit Gerald Grosz bei Wolfgang Fellner. Politisch hat der 39-Jährige bereits eine erstaunliche Wendigkeit an den Tag gelegt. Er arbeitete zunächst für den FCG und den ÖAAB, kandidierte dann für die SPÖ und später für die Liste Pilz. Bohrn-Mena gilt als klagsfreudig, es soll sich, wie eine eingehende Recherche der „Presse“ vor bald drei Jahren ans Tageslicht gebracht hat, mit diversen NGOs, angefangen von Martin Balluch bis hin zu Greenpeace und Global 2000, überworfen haben.

 

Am 4. April soll Bohrn Mena Lena Schilling mit der ultimativen Forderung kontaktiert habe, sie möge umgehend eine Unterlassungserklärung unterschrieben, wonach sie den Vorwurf niemals öffentlich wiederholen werde. Sie weigerte sich, da sie den Vorwurf nie öffentlich, sondern nur privat erhoben habe, worauf Bohrn Mena in einem kryptischen Tweet einen politischen Rücktritt in den Raum stellte. Damit die Dinge zu Beginn des Wahlkampfs nicht eskalieren, schaltete sich die Partei ein. Die Anwälte von Bohrn Mena und den Grünen einigten sich am 12. April auf einen Vergleich, die Anwaltskosten übernahm die Partei der Grünen. 

 

Mit dieser Info kehrte ich in die Redaktion zurück. Dass die Grünen die Anwaltskosten für einen privaten Kleinkrieg übernehmen, ist ungewöhnlich. Auch ist Gewalt in der Ehe keine Privatsache mehr, und Verleumdungen sind wahrlich kein Kavaliersdelikt. Nach kurzen internen Beratungen war allerdings schnell klar: Die Sache liefert vielleicht Stoff für ein Shakespeare-Stück, eine Neuinterpretation von Kabale und Liebe, ein Revival von Big Brother, aber nicht für einen Artikel. Vor allem hätte man zuvor tief in das Beziehungsgeflecht der beiden Paare eintauchen müssen - ein No-Go in der innenpolitischen Berichterstattung. 

 

Im Unterschied zur angloamerikanischen Polit-Sphäre zieht Österreich eine scharfe Trennlinie, was die Privat- und Intimsphäre von politischen Akteuren anbelangt. Würde ich jedes pikante Detail aus dem Privatleben der hohen Politik, das mir zwischen Boden-, Wörther- und Neusiedlersee zu Ohren gekommen ist, niederschreiben, bräuchte ich mehrere Sonderausgaben. Zum Glück sind Schlüsselloch-Erkenntnisse nicht Gegenstand der Politik.

 

Die Kollegen vom „Standard“ nahmen das Gerangel um den Vergleich zum Anlass, um eine journalistische Tiefenbohrung vorzunehmen - und stießen bei den Grünen und im Umfeld der Kandidatin auf ein Wespennest. In jedem Fall bot sich ihnen ein anderes Bild dar, das, so der Vorwurf, nicht nur einen problematischen Umgang der Spitzenkandidatin mit der Wahrheit aufwerfe, sondern vor potenziellen existenzzerstörenden Unterstellungen nicht halt mache. Also journalistisch doch relevant.

 

Die Grünen wollten bei der legendären Pressekonferenz die Flucht nach vorne antreten, haben sich aber als Betonfraktion, die null Einsicht zeigt, entzaubert. Die heutige Klubsitzung wird an der Bunker-Strategie nichts ändern. Die Empörung über die Grünen, die gern mit erhobenem Zeigefinger Politik machen, ist gewaltig - ich wage die These, vor allem bei jenen, die ohnehin nie grün gewählt haben. 

 

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Dienstag, der uns noch eine freudige Überraschung liefern sollte - freilich nicht in der Causa Schilling.

 
Michael Jungwirth
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