Lesezeichen
Karin Waldner-Petutschnig
Von
Karin Waldner-Petutschnig
Kulturredaktion
Hallo !
Sind Sie auf der Suche nach Bücher-Nachschub? Hier ist er, unser virtueller Büchertisch! Schmökern Sie los!
Aufgeblättert
Drei starke Autorinnen warten diesmal auf Sie: Die in Österreich aufgewachsene Slowakin Susanne Gregor, die in ihrem Roman „Halbe Leben“ über die Situation einer Pflegerin aus dem Osten schreibt; die Japanerin Suzumi Suzuki, die ein schwieriges Mutter-Tochter-Verhältnis drastisch aber poetisch analysiert („Die Gabe“); und schließlich die junge Wienerin Lilli Polansky, die im März mit ihrem Debütroman „Gratulieren müsst ihr mir nicht“ den Rauriser Literaturpreis erhalten wird.
Aufgefallen
© Verlag
Die Katastrophe in Susanne Gregors Roman „Halbe Leben“ ereignet sich gleich zu Beginn: Die Architektin Klara verunglückt. (Assoziationen an Mareike Fallwickels „Die Wut, die bleibt“ werden wach.) Wie die 1981 in der Tschechoslowakei geborene und seit 1990 in Österreich lebende Autorin den Weg dahin schildert, das ständig wachsende Unbehagen der Leserin befeuert und das Beziehungsgeflecht zwischen drei Frauen ausleuchtet, ist atemberaubend bis zum Schluss dieses schmalen Romans.

Da ist die Karrierefrau Klara, die froh ist, mit der Slowakin Paulina eine verlässliche Pflegekraft für ihre Mutter gefunden zu haben, die nach einem Schlaganfall auf Hilfe angewiesen ist. Und da ist die Alleinerzieherin Paulina mit ihrem „halben Leben“, das sich in zwei Wochen als Pflegerin in Österreich und zwei Wochen daheim bei ihren Söhnen in einer slowakischen Kleinstadt, aufteilt. Nur wenige Stunden sind die beiden Heimatorte der zwei Frauen voneinander entfernt, und dennoch liegen Welten dazwischen. Klara ist das nicht bewusst. Sie bietet der neuen Hausbewohnerin schnell das Du-Wort an und fühlt sich als ihre Freundin; sie schenkt ihr abgelegte Kleider und steckt ihr ab und zu einen zusätzlichen Geldschein zu - wem kommt das nicht bekannt vor?

Doch die scheinbare Harmonie klingt schnell immer dissonanter, der Chauvinismus der österreichischen Arbeitgeber führt zu Verletzungen und  Missverständnissen, die Ungleichheit zwischen den Frauen wird zum explosiven Grundton der Atmosphäre zwischen den Frauen. Spannend erzählt und raffiniert gebaut, genau beobachtet und psychologisch einfühlsam trifft dieses kleine Kammerspiel (vor allem für Frauen) wohl den Nerv der Zeit.

Susanne Gregor. Halbe Leben. Zsolnay. 192 Seiten, 23.70 Euro
© Verlag
Noch schmaler als „Halbe Leben“ ist mit 112 Seiten der Roman „Die Gabe“ der japanischen feministischen Autorin und Soziologin Suzumi Suzuki. Die Tochter ist eine Hostess und Sexarbeiterin, die Mutter ist eine todkranke Schriftstellerin, die sich bei ihr verkriecht, um ein letztes Gedicht schreiben zu können. Es ist ein kühles Verhältnis, distanziert und gefühlsarm. Ihre Tochter wollte die Mutter einst mit Gewalt vom Rotlichtmilieu fern halten, in dem sie auch selbst in ihrer Jugend unterwegs war. "Auf meinem Oberarm spürte ich noch die Wärme ihrer Hand. Unter der Tätowierung sitzt eine rot-weiß verfärbte Narbe. Eine Narbe, die die Frau, die einmal schön war und sich jetzt mit weniger als der Hälfte ihres Haars durch meine Wohnung schleppt, in meine Haut gebrannt hat."

Es geht um die Körper von Frauen, um ihr Selbstverständnis und um Selbstermächtigung. Vieles bleibt unerklärt in diesem atmosphärisch dichten, kurzen Debüt-Roman, der in Japan bald nach Erscheinen für einen renommierten Literaturpreis vorgeschlagen wurde.

Suzumi Suzuki. Die Gabe. Übersetzt von Katja Busson. Fischer. 112 Seiten, 22,70 Euro
© Verlag
Warum soll man sich so ein Buch überhaupt antun? Reicht ein Unglück alleine nicht? Wer neugierig auf den Debütroman der heurigen Preisträgerin des Rauriser Literaturpreises ist, sollte sich wappnen: In „Gratulieren müsst ihr mir nicht“ erzählt die 24-jährige Wienerin Lilli Polansky ihre eigene Krankengeschichte. Doch es lohnt, sich nicht von Hirntumor, Herzschrittmacher und inneren Blutungen abschrecken zu lassen. Dass auch noch Herzschmerzen wegen des auf Nimmerwiedersehen verschwundenen Freundes dazu kommen, wirkt im Vergleich dazu schon harmlos.

Was die Lektüre dieser Coming-of-Age-Geschichte so berührend macht, ist der großartige Umgang mit der Sprache. Lakonisch und mit leisem Humor schildert die Autorin die Geschehnisse, die sie im Krankenhaus beobachtet, sie blickt warmherzig zurück in ihre Vergangenheit, schildert empathisch das Elend auf der Intensivstation und ungemein poetisch ihre Kindheit.

Schon damals hat sie begonnen, alles aufzuschreiben und zu lesen, was ihr vor die Augen kam. Dass sie Schriftstellerin werden wollte, war also keine Überraschung. Mittlerweile ist sie gesundet, gewachsen und eine tolle Autorin, die einen bedeutenden Literaturpreis erhalten wird. Da muss man sehr wohl gratulieren!

Lilli Polansky. Gratulieren müsst ihr mir nicht. Schöffling. 272 Seiten, 22,70 Euro
Auf ein Wort
"Nichts verscheuchte böse Träume schneller als das Rascheln von bedrucktem Papier."

Cornelia Funke
© Bild: Funke
Auftragsmord
Er ist ein alter Hase in Sachen Spannungsliteratur, immerhin hat er schon vier Mal den Deutschen Krimipreis erhalten. In seinem jüngsten Thriller „Tanz im Dunkel“ nimmt uns Max Annas mit ins Köln der 1950er Jahre.

Rock ´n´Roll ist angesagt und vier Freunde geraten auf dem Heimweg von einer Demo in einen Unfall, der für einen von ihnen tödlich endet. Was mit der Verfolgung des Unfallautos durch die Jugendlichen beginnt, entwickelt sich immer mehr zum Verwirrspiel, denn auch die Jugendlichen werden beschattet. Durch wen? Und warum?

Bald spielt auch noch ein Netzwerk von Nationalsozialisten eine nicht unwesentliche Rolle: „Gisela zog Adi an der Hand zu der Mauerecke und um sie herum. Dort prangte ein großes Hakenkreuz. Von einer Ecke aus tastete sich ein fetter weißer Farbtropfen den Weg über die Ziegelsteine nach unten.“

Der Nationalsozialismus im Nachkriegs-Deutschland steht im Mittelpunkt dieses spannungsgeladenen Kriminalromans, der die Schatten der Vergangenheit beleuchtet, die bis heute wirken.

Max Annas. Tanz im Dunkel. Suhrkamp. 237 Seiten, 17 Euro
© Verlag
Aus aller Welt
Das einzige, was ihn interessiere, sei er selbst, sagte einer der größten deutschen Dichter über sich: Rainer Maria Rilke, dessen 150. Geburtstag heuer begangen wird, war kein sympathischer Mensch. Aber einer, von dem vor allem Frauen wegen seiner mystischen Aura fasziniert waren.

Um seine Ehefrau, die Bildhauerin Clara Westhoff und die gemeinsame Tochter Ruth kümmerte er sich wenig, er war ständig kreuz und quer durch Europa unterwegs und ein begnadeter Schnorrer, wie es der deutsche Literaturwissenschaftler Manfred Koch in seinem neuen Buch beschreibt. Biographien über den Schöpfer der „Duineser Elegien“ gibt es bereits einige, doch diese neue und auch für Nicht-Germanistinnen leicht lesbare lohnt einen zweiten Blick. In „Rilke. Dichter der Angst“ widmet sich Manfred Koch nicht nur den zahlreichen Ängsten des Künstlers, sondern spricht auch dessen problematisches Mutter-Sohn-Verhältnis an. 

«Ich mochte Rilke nicht, als ich vor bald 50 Jahren mein Germanistikstudium begann und erste Vorlesungen über ihn hörte», schreibt Manfred Koch in seinem Vorwort zum mehr als 500-seitigen Buch. Zu manieriert sei ihm der Autor von weltliterarischem Rang gewesen, zu klischeehaft, zu bewusst lebensuntüchtig. Dass der Literaturwissenschaftler diese Abneigung überwunden hat, kommt nun den Leserinnen und Lesern zugute - in diesem farbenprächtigen, zeitgeschichtlich spannenden und psychologisch stimmigen Porträt einer Künstlerseele. 

Manfred Koch. Rilke. Dichter der Angst. C.H.Beck. 560 Seiten, 35 Euro
© Verlag
Auf dem Nachttisch von...
... Heimo Strempfl liegt Theresia Töglhofer: „Tatendrang“ (Roman, Residenz Verlag, 2024).
Dass mit ihr zukünftig literarisch zu rechnen sein werde, stellte die österreichische Autorin Theresia Töglhofer schon vor einiger Zeit in Aussicht, 2015 erhielt sie den Jury-Preis für Prosa beim 23. Open Mike-Wettbewerb in Berlin und 2017 war sie Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses. Weitere Auszeichnungen folgen.

Mit ihrem ersten Roman „Tatendrang“, der 2024 im Residenz Verlag erschienen ist, löst sie die „Vorschusslorbeeren“ eindrucksvoll ein.
Die Autorin beleuchtet darin gleichsam die Herausforderungen der EU-Bürokratie. Auch Robert Menasse bewegte sich mit zwei Romanen auf diesem Themenfeld. Theresia Töglhofer hingegen kann für ihre Erzählung gleichsam eine „Innenperspektive“ heranziehen. Nach ihren Studien der Geschichte und der Internationalen Beziehungen in Graz und Paris hat Töglhofer Stationen in Belgrad, Brüssel, Wien, Osijek und Berlin aufzuweisen. Als Associate Fellow am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik kennt sie die Situation in Südosteuropa aus nächster Nähe.

Töglhofers Protagonistin Hanna Fürst ergattert in dem Roman einen der begehrten EU-Praktikumsplätze. Gemeinsam mit anderen bekommt sie die Aufgabe, die friedliche Annäherung von zwei verfeindeten Nachbarstaaten am Rande Europas zu befördern, mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten. Das Projekt gerät allderings in die bürokratischen „Mühlen“ der Union.
Der Roman „Tatendrang“ erzähle „Europa von den billigen Plätzen aus, von den Rändern und aus der Perspektive der Not Very Important Persons“, das konstatierte Töglhofers Autorinnenkollegin Angela Lehner. Und das ist wichtig und richtig so.

Abgesehen von der literarischen Qualität liegt das Verdienst der Autorin auch darin, was an den Rändern Europas vor sich geht, ins Blickfeld zu rücken und die, nicht nur kulturelle, Vielfalt, welche die Europäische Union auszeichnet, zu unterstreichen. Auf die Vielfalt sollte man/frau sich hierzulande besinnen, aber letztlich auch am „Golf von Amerika“. Danke Theresia Töglhofer für die vielen wertvollen Denkanstöße!

Heimo Strempfl, Germanist, leitet das Robert-Musil-Literaturmuseum in Klagenfurt
© KLZ
Am Anfang

"In zwei Minuten sind wir live!", ruft der Aufnahmeleiter durch das Nachrichtenstudio."

Aus welchem Buch und von welcher Autorin, welchem Autor stammt dieser erste Satz?

a) Susanne Abel: "Stay away from Gretchen"
b) Daniel Kehlmann: "Ruhm"
c) Ursula Krechel: "Geisterbahn"

Der gesuchte Satz der Vorwoche (“Zu der Zeit, da diese Geschichte beginnt, hatten sich die Stanhope-Presse und die Walzen zum Auftragen der Druckerschwärze in den kleinen Provinzdruckereien noch nicht durchgesetzt“) stammt aus dem Buch "Verlorene Illusionen" von Honoré de Balzac. Gratulation, wenn Sie es gewusst/erraten haben, und viel Glück/Spaß mit dem neuen Satzrätsel.
A bis Z
Café Hennerdreck

Ganz anders dieses Abseits:
Wespen heißen hier
Wepsen und die Hähne
benehmen sich wie andernorts
ausgestorbene Gockel

der alte Apfelbaum der
uns beschattet wird nichts
verraten, nichts von den
großen Portionen und nichts
von dem großen Hunger

den wir unter seinen Ästen
stillen und wecken -
amen möchte man sagen
wenn die Suppe kommt
behütet von sehr viel Busen:

zugeknöpft! Aus der Stadt
kommen Sie? Ja dann
kein Wunder, daß Sie uns
immer wieder suchen müssen
so gehts allen mit dem Glück

Dagmar Leupold
Altbewährt
Wer Lust auf ein wenig altmodische Romantik à la Colette, Vicky Baum oder ähnliche hat, könnte einmal in einen neu aufgelegten Roman aus dem Jahr 1930 hineinlesen: Katrin Holland war das Pseudonym für die Rostocker Autorin Heidi Huberta Freybe, die mit „Man spricht über Jacqueline“ ihren Debütroman vorlegte.

Darin tauschen zwei Schwestern die Rollen. Jacqueline, genannt Jack, ist eine lebenslustige umschwärmte Schönheit der 1920er Jahre, die sich nur wenig um die gebrochenen Herzen kümmert, die sie hinterlässt. Doch schließlich erwischt es auch sie, und Jack verliebt sich in den ernsthaften Michael, der eine gescheiterte Beziehung hinter sich und strenge Prinzipien hat. Jack gibt sich ihm gegenüber als ihre sittsame, ruhige Schwester June aus - und das Durcheinander ist vorprogrammiert.
 
Zugegeben: Das Frauenbild, das hier transportiert wird, ist mehr als antiquiert. Aber man sieht sich ja gelegentlich auch ganz gerne einen alten Schwarz-Weiß-Film an ...

Katrin Holland. Man spricht über Jacqueline. Rowohlt TB. 224 Seiten, 15 Euro
©Verlag
Auf bald
Das war eine ziemlich bunte Mischung heute, nicht wahr? Hoffentlich war etwas Interessantes für Sie dabei! Nächste Woche versorgt Sie wieder mein Kollege Bernd Melichar mit neuer Lese-Kost. Alles Gute!
WERBUNG
30 Kurzurlaube für zwei Personen zu gewinnen

Entspannte Auszeit mit dem Kleine Zeitung Club! Mit ein bisschen Glück gewinnen Sie bei unserer Verlosung einen von 30 Kurzurlauben für zwei Personen in der Steiermark, in Kärnten oder Osttirol.

Bleib up to date
        
 
© 2025, www.kleinezeitung.at, Kleine Zeitung GmbH & Co KG, Gadollaplatz 1, 8010 Graz. 

Alle Rechte vorbehalten.