Lesezeichen
Autor
Von
Karin Waldner-Petutschnig
Kulturredaktion
Hallo Martina!
Die Frankfurter Buchmesse läuft gerade auf Hochtouren. Aus den rund 80.000 jährlichen Neuerscheinungen im deutschen Sprachraum haben wir ein paar Lesefrüchte von österreichischen Autoren geerntet. Hier ein kleiner Rundblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Was auffällt: Es sind einige wahre Sprachkunstwerke dabei!
Aufgeblättert
Zum Teil autobiographisch sind drei lesenswerte Neuerscheinungen. Wie Clemens J. Setz zu dem Literaturstar wurde, der er mittlerweile ist, schildert er anhand von Tagebucheinträgen aus seinen Jugendjahren; Michael Köhlmeier macht sich mit seinem Freund, dem Filmregisseur Robert Dornhelm auf Spurensuche, und Sabine Scholl erzählt eine autobiographisch grundierte Geschichte über die Scham von Kindern in prekären Haushalten. Sozusagen als Bonus gibt´s noch drei kurze Empfehlungen in Sachen Sprachkunst: Anna Maschik, Sarah Kuratle und Peter Waterhouse.
Aufgefallen
© Verlag
Nicht nur für Fans des Büchnerpreisträgers Clemens J. Setz ist das Buch zum Film seines Lebens eine bereichernde, berührende Lektüre. Mitzuerleben wie aus einem sensiblen, belesenen Achtzehnjährigen ein Star des deutschsprachigen Literaturbetriebs wird, eröffnet einen intimen Blick auf den werdenden Autor und seine Fragen ans Leben. Das Buch umfasst eine Auswahl an E-Mails,  handschriftlich festgehaltene Notizen aus den Jahren 2000 bis 2010, Beobachtungen, Erlebnisse, Wünsche eines jungen Mannes aus Graz, der bis zu seinem 16. Lebensjahr wenig mit Literatur anfangen konnte. Über Ernst Jandl und Friederike Mayröcker fand er zur Poesie und wollte bald unbedingt selbst gelesen werden, „das heißt, in fremden Köpfen als vorübergehend vom Nichts getrenntes Hologramm weiterexistieren dürfen“. 

Die autobiografischen Aufzeichnungen beginnen mit Clemens Setz´ herausfordernder Zeit als Zivildiener in einem Zentrum für Menschen mit Behinderung, erzählen vom wenig erfüllenden Mathematik- und Germanistikstudium, belastenden Familienverhältnissen, aber auch von der frühen Sehnsucht nach einem eigenen Kind (mittlerweile ist der verheiratete 42-Jährige Vater einer Tochter). Eine Reise nach Venedig, das erste veröffentlichte Buch und die Teilnahme am Bachmann-Wettbewerb führen den einstigen Computer-Nerd schließlich Schritt für Schritt in die literarische Welt. Poetische Preziosen, die immer wieder zwischen den Berichten aufblitzen („Eine Pfütze enthielt, münzklein zitternd, den Mond.“) , machen diese lesenswerte Chronik zu einer kleinen, feinen literarischen Schatzkiste.

Clemens J. Setz. Das Buch zum Film. Jung&Jung. 192 Seiten, 24 Euro
© Verlag
Eine Lebensgeschichte in Dialogform legt einer der bekanntesten Geschichten-Erzähler des Landes in Buchform vor. Der Filmregisseur Robert Dornhelm und der Autor Michael Köhlmeier sind seit 40 Jahren befreundet. In „Dornhelm - Roman einer Biografie“ setzten sich die beiden 13 Tage lang zusammen, um über ihre Leben, das Kino und die Welt zu reden.

Herausgekommen ist ein kurzweiliger, amüsanter und informativer Dialog zweier Künstler, der von Dornhelms Geburtsland Rumänien über Österreich bis nach Hollywood führt. Dornhelm, dessen Villa in den USA bei einem verheerenden Feuer vernichtet wurde, spricht aber auch über den politischen Wandel in Amerika und die Entwicklungen in der Filmindustrie: „Ich kann sagen, mein Amerika ist abgebrannt.“

Michael Köhlmeier. Dornhelm. Zsolnay. 284 Seiten, 26,80 Euro
© Verlag
Sie sind arm und angewiesen auf die Nähkünste der Mutter: Im Roman „Die zweite Haut“ erleben die Ich-Erzählerin und ihre Brüder keine liebevollen Umarmungen, keine Nähe und Zärtlichkeit ihrer Mutter, sondern „nur Zuschneiden, Anheften, Saumabstecken“.

Familien- und Modegeschichte verwebt die oberösterreichische Autorin Sabine Scholl kunstvoll zum Psychogramm einer Familie. Armut und die Scham darüber prägen darin das Aufwachsen von Kindern, wie Sabine Scholl aus eigener Erfahrung weiß: „Das können wir uns nicht leisten.“ Auch ihre Ich-Erzählerin emanzipiert sich, wird Studentin, Schriftstellerin und Mutter. 

Sabine Scholl. Die zweite Haut. Weissbooks. 224 Seiten, 24 Euro
© Verlag
Außergewöhnlich und völlig unsentimental ist der formal anspruchsvolle Familienroman der Wienerin Anna Maschik. An ihrem Text ist offensichtlich, dass die Deutsch- und Spanischlehrerin Sprachkunst  studiert und bisher vor allem Kurzprosa und Lyrik veröffentlicht hat. Kurz und dicht sind auch die knappen Kapitel, die über mehrere Generationen das martialische Dorfleben irgendwo in Norddeutschland schildern. In ihrem Debütroman berichtet die Ich-Erzählerin Alma lakonisch von Schlachtungen und Geburten, zählt auf: „Dinge, die hängen: Das Schaf am Haken/Die Schinken in der Räucherkammer/Der Urgroßvater am Balken/Die Puppen an der Deckenlampe/Das Kind an der Nabelschnur.“

Anna Maschik. Wenn du es heimlich machen willst. Luchterhand. 240 Seiten, 23 Euro
© Verlag
Sinnlich und surrealistisch ist das „nature writing“ der Vorarlbergerin Sarah Kuratle, das ihren zweiten Roman kennzeichnet. Es ist eine dystopische Welt, die sie in „Chimäre“ entwirft und gleichzeitig erschreckend nahe an der Realität. Klimawandel und Artensterben, extreme Wetterereignisse und der Anstieg des Meeresspiegels beschäftigen Schüler und Lehrer in einer Forschungsstation auf einer namenlosen Insel.

Da ist Alice, die nicht weiß, ob sie lieber Fisch oder Vogel sein würde oder Gregor, der versucht, das Trauma eines Missbrauchs abzuwaschen - ein dichtes und poetisches Plädoyer für einen achtsamen Umgang mit der Natur. 

Sarah Kuratle. Chimäre. Otto Müller. 160 Seiten, 23 Euro
© Verlag
Zuhause in Wien und im zweisprachigen Südkärnten, wo einst sein Vater als britischer Offizier stationiert war, ist der in Berlin geborene Peter Waterhouse ein vielstimmiger Schreiber und Denker, der gerne Brücken baut. In dem 1500 Seiten starken Wälzer mit dem sperrigen Titel „Z Ypsilon X“ forscht der 69-jährige Autor unter anderem den Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen im Leben und Lesen seines Großvaters nach. Der war in der NS-Zeit Hauptschriftleiter in Österreich und gleichzeitig ein ungemein belesener Mann mit einer Privatbibliothek von Shakespeare bis Karl Kraus, von Goethe bis Dostojewski.
 
Peter Waterhouse. Z Ypsilon X. Matthes und Seitz. 1554 Seiten, 148 Euro
Auf ein Wort
© Verlag
„Der Herbst ist ein zweiter Frühling, wo jedes Blatt zur Blüte wird.“

Albert Camus
Auftragsmord
© Verlag
Als die junge Journalistin Emmi Beinhart zur Recherche in ein entlegenes Dorf nach einer Überschwemmungskatastrophe geschickt wird, ahnt sie noch nicht, worauf sie sich da einlässt: Männer in weißen Overalls streunen in der Nacht durch den weitläufigen Wald, Bäume sterben offenbar ab und zerbröseln, der Keller im Haus eines Kollegen, das sie leihweise bezieht, ist als Überlebensbunker eingerichtet, und schließlich hängt auch noch eine Leiche an einem Baum.

Der  Öko-Thriller „Waldestod“ des steirischen Krimiautors Robert Preis nimmt zwar erst nach rund 80 Seiten so richtig Fahrt auf, dann aber rasant! Wem von den Männern, die sich plötzlich um Emmi kümmern, kann sie trauen, was ist da los im Wald? Klimawandel und Katastrophenschutz, Waldsterben und Weltuntergang machen diesen kurzweiligen Krimi spannend bis zum Schluss - auch wenn einem beim Lesen durchaus das Gruseln kommen kann.

Robert Preis. Waldestod. Emons. 256 Seiten, 15,50 Euro
 
Altbewährt
© Verlag
Die Philippinen sind heuer Schwerpunktland auf der Frankfurter Buchmesse. Literatur aus dem weit verzweigten Inselstaat kennt man bei uns kaum. Am ehesten bekannt ist der philippinische Schriftsteller, Unabhängigkeitskämpfer und Arzt José Rizal (1861 - 1896), dessen Werk, übersetzt aus dem Spanischen, auch bei uns wieder aufliegt.

So wie der Autor selbst kehrt auch der Junge Ibarra im Roman nach Jahren in Europa auf die Philippinen zurück. Ernüchtert von der spanischen Kolonialherrschaft erkennt er lange nicht, wie sich von seiner großen Liebe Maria Clara bis zum Dorfpfarrer alle von ihm abwenden. Anders als der Autor des Buches kann der Romanheld den Spaniern im letzten Moment entkommen, José Rizal, der mit dem Buch sozusagen sein eigenes Schicksal vorwegnahm, wurde 1896 hingerichtet.

Überraschend sarkastisch und humorvoll ist diese deutsche Neuauflage des philippinischen Klassikers, ein buntes Gesellschaftsbild vergangener Zeiten aus einem literarisch weitgehend unbekannten Land.

José Rizal. Noli me tangere. Aus dem philippinischen Spanisch von Annemarie del Cueto-Mörth. Insel. 542 Seiten, 28,80 Euro
Auf dem Nachttisch von...
© Verlag
... Alexander Widner liegt derzeit: „Denken mit Diderot und anderen Philosophen“ (Insel Verlag 1995): „In dem Buch, das lesenswerter ist denn je, werden neben Diderot auch die Gedanken von Montaigne, Spinoza, den ich ja nicht so sehr mag, dem großartigen Kant, Hegel und anderen Philosophen erläutert“, sagt der Schriftsteller Alexander Widner, der sich während eines Krankenhausaufenthalts derzeit mit den Philosophen beschäftigt. Schmunzelnder Nachsatz: „Voltaire macht sich ja lustig über Spinoza, das gefällt mir!“

Alexander Widner, Schriftsteller, lebt in Klagenfurt
Am Anfang
Eduard - so nennen wir einen reichen Baron im besten Mannesalter - Eduard hatte in seiner Baumschule die schönste Stunde eines Aprilnachmittags zugebracht, um frisch erhaltene Pfropfreiser auf junge Stämme zu bringen.“

Aus welchem Buch und von welchem Autor stammt dieser erste Satz?

a) Friedrich Hölderlin: Hyperion
b) Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm
c) Johann Wolfgang von Goethe: Die Wahlverwandtschaften 

Der gesuchte Satz der Vorwoche ("Ich bin am vierten Januar 1951 geboren, in der ersten Woche des ersten Monats des ersten Jahres der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.") stammt aus dem Roman „Gefährliche Geliebte“ von Haruki Murakamin. Gratulation, wenn Sie es gewusst haben. Und viel Glück/Erfolg/Spaß beim neuen Satzrätsel. 
A bis Z
Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke
Aktuell
INTERVIEW. Kürzlich erhielt die deutsche Bestsellerautorin Nele Neuhaus den Österreichischen Krimipreis 2025. Ein Gespräch über Regionalkrimis, Buchverkauf von der Wursttheke aus und die Verfilmung ihrer Taunus-Krimis.

In letzter Zeit haben vor allem Regionalkrimis die Buchregale erobert. Der Krimi-Boom scheint endlos. Warum? 
NELE NEUHAUS: Ich staune selbst. Es gibt ja schon Krimis aus den absurdesten Regionen. Eine mögliche Erklärung: Es ist ein Genre, mit dem man gut Spannung transportieren kann. Da schließe ich mich als Leserin ein. Ich sitze gemütlich zu Hause, da passiert mir nichts, das macht den Kitzel aus. Auch wird ein gewissen Voyeurismus bedient, gerade wenn sie regional verortet sind.

Das heißt, Sie lesen auch selbst Krimis?
Als Autorin bin ich ein bisschen krimimüde geworden, immer dasselbe, Mord und Totschlag. So blutige Sachen mag ich persönlich nicht mehr. Ich weiß gar nicht, ob ich Nele Neuhaus noch lesen würde (lacht). Aber in meinen Büchern geht es vor allem um das Menschliche, nicht um die Region. Menschliche Abgründe sind international. 

Ihre ersten Bücher, die Sie im Selbstverlag herausgegeben haben, spielen noch nicht im Taunus.
Vom ersten Buch, das in New York handelt, habe ich 500 Exemplare drucken lassen. Ich habe in der Fleischfabrik meines damaligen Mannes gearbeitet. Keine Buchhandlung wollte mich, also habe ich die Bücher neben der Wurst auf den Tresen gestellt und verkauft (lacht). Nach diesen Anfangserfolgen habe ich gesehen, es gibt Krimis, die spielen in der Eifel und im Allgäu, warum spielen die nicht im Taunus? Ab da wurde jeder Spaziergang zur Recherche.

In Ihrem aktuellen Taunus-Krimi „Monster“ geht es um Recht, Rache und Selbstjustiz, aber auch um Asylpolitik, Rassismus. Am umfangreichen Anhang merkt man, dass Sie viel recherchiert haben. Was war Ihnen bei dieser Geschichte besonders wichtig?
Meist wage ich mich bei meinen Büchern auf unbekanntes Terrain, daher gibt es für mich immer viel Recherche. In „Monster“ interessierte mich: Was machen Eltern, wenn ihre Tochter ermordet wird? Auch in meinem Bekannte- und Familienkreis hat es Morde gegeben. Ich habe die Perspektive der Angehörigen erlebt, die Nichtbeachtung, die Hilflosigkeit, wenn man nicht weiß, was passiert ist. Und ich wünsche mir, dass die Leser verstehen, was ein Täter warum getan hat. Aktuelle Themen will ich dabei nicht aussparen, zum Beispiel, dass die Gerichte in Frankfurt heillos überfordert sind. Bei keinem meiner Morde geht´s um Habgier, sondern um ideologische Geschichten.
 
Wie geht´s mit den Ermittlern Bodenstein und Pia weiter?
Der nächste Band ist im Entstehen, ich glaube, die sind noch nicht auserzählt. Polizisten haben auch ein Privatleben, viele Krimis hören ja an der Polizeistation auf. 

Und die Verfilmungen?
„In ewiger Freundschaft“, das Vorgängerbuch, wird als Zweiteiler vom ZDF 2026 ausgestrahlt, „Monster“ wird als Miniserie in sechs Teilen gedreht. Die Außenaufnahmen im Taunus beginnen im Jänner, worauf ich mich schon sehr freue.

Sie schreiben auch Kinder- und Jugendbücher über Pferde. Als Erholung von den Krimis?
Ein bisschen schon. Es ist eine andere Herangehensweise, eine andere Sprache, nicht so komplex wie Krimis, an denen ich oft ein Jahr und länger arbeite. Außerdem setze ich mich mit meiner Stiftung für die Förderung der Lese-, Schreib- und Sprachkompetenz von Jugendlichen ein.
Auf bald
Nach dieser geballten Ladung an Lesestoff wünschen wir Ihnen viel Zeit und Muße zum Lesen! Hoffentlich war etwas Interessantes für Sie dabei. Nächste Woche gehen wir wieder auf „Buchfühlung“, bis dahin: Lesen Sie wohl!
WERBUNG
Karten für "Recreation" zu gewinnen

Wir verlosen unter allen Club-Mitgliedern Karten für die Veranstaltungen von "Recreation" in Graz. Erleben Sie fantastische junge Musikerinnen und Musiker, die Sie in die Welt von Mozart und Bach entführen.

Bleib up to date
        
 
© 2025, www.kleinezeitung.at, Kleine Zeitung GmbH, Gadollaplatz 1, 8010 Graz. 

Alle Rechte vorbehalten.