lassen Sie uns über Stimmen sprechen – den Quell aller Opernliebe und auch den Ursprung für diesen Newsletter. Schöne Stimmen, gute Stimmen, herausragende Stimmen. Es gibt sie zahlreich.
Doch warum ist der eine großartige Tenor irgendwie interessanter als der andere? Warum bleibt Carmens „Habanera“ aus dem Munde der Callas bis heute unerreicht?
Seien wir ehrlich, Sie wie ich: Wollen wir Stimmen beschreiben, sind wir schnell am Ende unseres Lateins.
Bei Pumuckl ist es recht einfach. Als vor einem Jahr neue Folgen mit dem kleinen Klabauter und dem ebenfalls schreinernden Neffen von Meister Eder herauskamen, ging die Diskussion über den wahrhaftigen Klang des neuen gegenüber dem alten Kobold los. Viele sind der Meinung: Der neue krächzt weniger. (Was nicht stimmt. Aber um das festzustellen, muss man schon alle Folgen sehen und nicht nur den völlig geölten Trailer.)
In die Verlegenheit, das Wort „krächzen“ im Opernkontext verwenden zu müssen, will man lieber nicht kommen. Allenfalls bei der Knusperhexe in Engelbert Humperdincks „Hänsel & Gretel“. „Geölt“ ist da schon besser.
Über Musik zu schreiben, ist bereits eine Herausforderung. Doch kaum etwas ist in der Welt der Musik so schwer zu fassen wie die Beschreibung von Stimmen. Sie entziehen sich oft den gängigen Begriffen, die wir für andere Künste verwenden.
Das zumindest ist eine verbreitete Meinung. Eine Musiklehrerin aus Rastatt beweist das Gegenteil. Viele Jahre lang ist sie dieser vermeintlichen Unmöglichkeit in ihren Forschungen nachgegangen. Stefanie Lorsch kennt viele – sehr viele – Gegenbeispiele.„Sonne überm Hochnebel“, „ein depressiver Roboter“, „sinken in einen samtenen Sessel“, „Eis im Glas“ oder „nicht wie tönend Erz, sondern eine vokal fein ziselierte Schmiedearbeit“. Ein Arsenal an extravaganter Metaphorik zur Beschreibung von Singstimmen in journalistischen Texten löste bei Lorsch den Wunsch nach einer systematisierten Präsentation von Beschreibungsmöglichkeiten der menschlichen Stimme aus.
Rund 3.000 Texte hat die Forscherin analysiert und Meisterkurse für Gesang besucht, um das Vokabular oder auch die Gestik zu untersuchen, wie über das Singen kommuniziert wird. Durch umfangreiche Recherchen – basierend auf spontanen und in Interviews gefundenen, professionellen und alltagssprachlichen, öffentlichen und privaten, mündlichen und schriftlichen Texten – konnte Lorsch 393 Wörter belegen, die zur Beschreibung der Singstimme verwendet werden.
Eigentlich habe sie nur ein „Aromarad“ für die Stimme schreiben wollen, erzählte mir Stefanie Lorsch, als ich sie traf. „Es wurde dann eher eine Sternenkarte“, sagt sie heute. Bald erscheint ihre Studie, der sie gut zehn Jahre ihres Lebens gewidmet hat, im Wissenschaftsverlag Peter Lang. „Bilder in unterschiedlichen Rahmen: verbales, musikalisches und gestisches Zeigen der Singstimme" lautet der Titel.
Selten war ich so gespannt auf ein Buch – auch wenn es rund 800 Seiten umfasst. Die Wortliste wird sicherlich mein Lexikon der Zukunft. Sie dürfte ein hervorragender Werkzeugkoffer sein für Journalisten, Musikkritikerinnen, Lehrende, Studierende und Singende.
Es gibt viel zu erzählen über Stefanie Lorsch und ihre außergewöhnliche Geschichte. Darüber lesen Sie in einigen Wochen in den BNN. Vielleicht liegt das Buch bis zum nächsten Newsletter ja schon auf meinem Tisch.